Kindheit und Jugend
Der Lambacher Benediktinermönch Pater Romanus Weichlein wurde am
8. Mai 1650 in Linz geboren und auf den Namen Andreas Franz getauft. Er
entstammte einer Musikerfamilie unbekannter Herkunft; erste Zeugnisse
existieren über seinen Vater, Johann Weichlein, der im Stift Zwettl
(Niederösterreich) als Organist aufscheint. Später ging Johann
Weichlein nach Linz. Dort war er von 1639 bis 1677 Stadtorganist und Gastwirt.
Mit seiner Frau Sabina hatte er neun Kinder, von denen neben Romanus auch
noch dessen älterer Bruder Magnus als Musiker belegbar ist. Beide
absolvierten vermutlich die Humaniora im Stift Lambach und traten 1666
(Magnus) bzw. 1671 (Romanus) als Novizen in die Klostergemeinschaft ein.
Der Weg nach Lambach Vermittlung und Ausbildung
So gut ihre theologische Ausbildung nachvollziehbar ist beide studierten
an der Universität Salzburg und promovierten zu Doktoren der Philosophie
so schlecht ist die Quellenlage über ihre musikalische Ausbildung.
Ein wichtiger Lehrer der Weichlein-Brüder war jedoch gewiss der Lambacher
Stiftsorganist Beniamin Ludwig Ramhaufski (ca. 16311694). Möglicherweise
stellte er sogar die Verbindung zu Lambach her, denn Ramhaufskis erste
Frau Anna (geb. Siemer) war aus Linz gebürtig. Daraus ist zu schließen,
dass den aus Prag stammenden und auch in Passau erwähnten Musiker
zumindest private Beziehungen mit der oberösterreichischen Landeshauptstadt
verbanden. Noch deutlicher wird das Naheverhältnis zur Familie Weichlein
durch die Tatsache, dass nach dem Tod Anna Ramhaufskis (+ 1678) im Mai
1679
H. Beniamin Ludovicus / Ramhaufski; Organist alhier
mit / Jungf. Anna Barbara Weichlein von Linz durch P. Roman copulirt
wurde. (Trauungsbucheintrag, Stift Lambach)
Stationen des Berufslebens
Nach der Priesterweihe (1678) war P. Romanus Weichlein nur selten in Lambach.
Aus einem Brief seines Mitbruders P. Georg Schönberger erfahren wir,
dass er um 1684 als Seelsorger in der kleinen niederösterreichischen
Pfarre Oberkirchen diente, ab 1687 avancierte er zum Kaplan und Musikpräfekt
im Benediktinerinnenstift Nonnberg. Am 22. September 1691 ersuchte die
Äbtissin dieses Salzburger Frauenklosters den Abt von Lambach in
einem Brief, er möge ihr für die neu gegründete Expositur
in Säben (Südtirol) als Kaplan und musikalischen Instruktor
den woll Ehrwerten herrn P: Roman weichlin, mit Gnädiger erlaubnuß
[
] vergunen. Der Bitte der Ordensfrau wurde stattgegeben und
Weichlein kam bereits am 17. Oktober 1691 in Säben an. Dort blieb
er zum Wohlgefallen des gesamten Konvents bis Jänner 1705. Doch bereits
nach wenigen Wochen Station im Heimatkloster Lambach ereilte ihn ein neuer
Außendienst: Er musste nach Kleinfrauenhaid im heutigen Burgenland,
das bis 1782 eine inkorporierte Pfarre von Lambach war. Der Aufenthalt
währte jedoch nicht lange, denn schon nach einem Jahr fand er durch
Weichleins Tod ein Ende (1706).
Ein grober Mensch?
So gut Weichlein von der Salzburger Äbtissin in ihrem Ansuchen beim
Lambacher Abt beurteilt wird, so löblich fällt auch sein Arbeitszeugnis
beim Abgang von Säben aus. Doch der bereits erwähnte Brief seines
Mitbruders P. Georg (Oberkirchen, 1684) zeigt den einst in Frauenklöstern
zu hohem Ansehen gelangten Musikermönch von einer gänzlich anderen
Seite. P. Georg wurde als klösterlicher Visitator an die Wirkungsstätte
Weichleins entsandt, weil es wegen seines offenbar cholerischen Wesens
zu Ausschreitungen gekommen war. Glaubt man den Aufzeichnungen des visitierenden
Mönches, so hat P. Romanus etwa in folgendem Stil zu seiner Köchin
gesprochen: [
] wirstu (wirst du) mir nur 3 Wörtter reden,
so mir nicht gefahlen, so will ich dich solchergestalten schlagen und
tractieren, daß du die Zeit deines Lebens an mich denkhen sollst.
Als sich die gescholtene Köchin verbal zur Wehr setzte, verfolgte
P. Romanus seine Bedienerin bis in deren Zimmer und hat dann angeblich
gleich angefangen, so lang an die Thür zu rennen, bis sie mitlich
aufgesprungen. Schließlich kam es zu Handgreiflichkeiten,
bei der auch diverse Gebrauchsgegenstände als Waffen miteinbezogen
wurden.
Derart rabiates Verhalten mag man bei einem musisch begabten Mönch
zu Recht bezweifeln, aber das Dokument spricht eine klare Sprache. Dass
die Äbtissinnen von Salzburg und Säben P. Romanus hingegen in
den höchsten Tönen loben, vereinfacht die Frage nach dessen
persönlichem Charakter gewiss nicht.
Die beiden Ordinarien Missa Sanctissimae trinitatis und Missa gloriosae
Virginis in Coelo stellen Teile einer Sammlung dar, die Weichlein für
die kirchenmusikalische Praxis in Säben komponierte und 1702 unter
dem komplexen Titel Parnassus Ecclesiastico-Musicus cum quibusdam suis
selectioribus musis, seu septem missis musicalibus in Ulm veröffentlicht
hat. Die sieben Messkompositionen sind klein und einheitlich besetzt,
Virtuosität wird mit wenigen Ausnahmen in den Gesangspartien
durchwegs in den Hintergrund gedrängt. Das musikalische Gefüge
basiert auf einem steten Wechsel zwischen homophonen und polyphonen Teilen,
A-capella-Passagen, vokalsolistischen Einschüben, instrumentalen
Prä- und Interludien und Tutti-Spiel.
Weichlein stellt sich mit der häufigen Parallelführung von Chor-
und Instrumentalstimmen großteils in die Tradition der barocken
Colla-parte-Technik. Doch er vermag die schematische Konvention auch durch
Verselbstständigung der Streicherpartien zu durchbrechen; namentlich
die erste Violine erhebt sich manchmal sehr gezielt über den Chordiskant.
Dadurch wird ein reizvoller Effekt erreicht, der trotz vieler Vereinfachungen
sogar Anklänge an konzertantes Musizieren aufweist.
Die Melodik verharrt in anmutiger Schlichtheit, denn gewiss lenkte der
komponierende Violinvirtuose Weichlein gerade bei diesem Zyklus sein Hauptaugenmerk
auf die leichte Ausführbarkeit. Dramatischere Passagen entstehen
etwa im Credo der Missa Sanctissimae trinitatis, wenn der Komponist an
der Textstelle Crucifixus das Aufrichten des Kreuzes durch
aufsteigende Chromatik musikalisch illustriert. Berichtet der Text wenig
später von der Grablegung Christi (passus, et sepultus est),
fällt die melodische Struktur wieder in Halbtonschritten abwärts.
So wie in vielen anderen Spätwerken Weichleins findet sich auch in
den beiden vorliegenden Messen immer wieder jene prägnante Dreiklangsmotivik,
welche die Weichlein-Forscherin Helene Wessely u. a. als Wegweiser zur
Frühklassik interpretiert. Auch wenn der Lambacher Benediktiner P.
Romanus Weichlein als Komponist im Schatten der großen Zeitgenossen
Schmelzer, Biber und Muffat agierte, fand er dennoch vielleicht
nicht zuletzt wegen seines exzentrischen Wesens zu einem recht
individuellen Personalstil und konnte sich so einen festen Platz in der
Musikgeschichte sichern.
Peter Deinhammer